Finale Fanpost

Hendrik Rost



Und die Zeit tat das, was sie immer tut,
sie rauschte vorbei. Ja, tadle sie nur. 
Joseph Brodsky

I
Natürlich sind die Rolling Stones Teil meiner Biografie. Genauso wie es das Shell-Logo ist oder eine kleine Ziffer oben links im Fernsehschirm Dinge, die sich aus unserer Welt nicht wegdenken lassen. Ich entkomme ihnen nicht, weder meiner Biografie noch den Stones
Die Logos sind der allgegenwärtige Hinweis darauf, dass ich noch lebe, weil jemand um meine Aufmerksamkeit buhlt, dass ich und alle anderen zur Masse der Wahrnehmenden gehören und dass das allmähliche eigene Verschwinden sich am einfachsten dadurch verneinen lässt, dass es verneint wird. Beinahe jedes Lied singt davon. Für die Stones gilt allerdings noch jener mehr graduelle Unterschied Wenn ich ihre Musik höre, kann ich behaupten, es sei meine Entscheidung gewesen, sie in mein Leben zu holen.

II
Immer gab es jemanden, in der Klasse, an der Hochschule, im Job, der sich mit einem der Mick-Lippen-Aufkleber gekennzeichnet hat. Lippen, so prall und vulgär, wie sie nur sein können, die sich mit ihrer Botschaft schierer Körperlichkeit aufdrängten. Als Kind, ich erinnere mich, errötete ich sehr leicht. Später wurde es so schlimm, dass ich kaum wagte zu reden. Dann ließ es nach. Als hätte ich plötzlich kein Interesse mehr gehabt, anderen an der eigenen Oberfläche mitzuteilen, wie ich mich fühlte. Aber niemand behaupte, Älterwerden heiße, besser zu werden.

III
Die Aufgabe, wie sie hier in der Kunst gestellt wird, ist nicht, in den Gesichtern Spuren der Zeit freizulegen, sondern unter all den Spuren noch Gesichter auszumachen. Mit Gesichtern ist der Teil des Körpers gemeint, der sein Befinden nicht verbergen kann, obwohl er Schicht für Schicht mit dem Zustand verhüllt wird, in dem er sich mit der Zeit wiederfindet. 
Alle äußeren Reparaturen sind dann vergeblich.
Das Diskreteste, was ich je gesehen habe, war ein Reliquienschrein, in dem Schädel zur Schau gestellt wurden, die Gesichter nach innen gewendet, die Köpfe beinahe ganz in Stoff eingefasst. Nur eine zentimetergroße Fläche blieb ausgespart, wo das ausgeaperte Weiß der Knochen zu sehen war. Ohne zu wissen, was genau verehrt werden sollte, stellte sich eine ungekannte Ehrfurcht ein vor diesem fremden Ensemble, das dem Leben, im Tod konserviert, das Gesicht abwendet.

IV
Das Pornografische am Leben ist, wie in beinahe jedem Augenblick jemand von ganz nahem fixiert wird. Jede Falte und Ausstülpung des immer schon verfallenden Körpers füllt den Schirm oder die Seite.
Nach der Show ist die Luft raus, wenn die Kameras sich für einen Moment abwenden, und nach dem x-ten Runderneuern bleibt irgendwann das bloße, tragende Material, das allen gleich ist die weiße Felge, die alles so lange im Rollen gehalten hat; vor allem die Gewissheit, dass man neben den Stones, dem Rock n Roll und dem Aufbegehren gegen das Faktische selbst zu seiner Biografie gehört.
Das macht frei, statt noch länger das Aushalten zu bewundern, endlich den Verfall zu beschreiben, bevor unsere Gesichter selbst aussehen wie zerknülltes Papier und das finale Leugnen beginnt, das allein die Kunst aufzuheben vermag. 
Sonst zeigt sich das nur in dem seltsam lächelnden Ausdruck von Totenmasken, der gleichzeitig bestürzt und milde stimmt, weil jemand endlich so aussehen darf, wie er es die ganze Zeit wollte.